Fallbeispiele

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Diabetes mellitus Typ 1 

Fallbeispiel

Bei der 14 Jah­re alten Lui­se besteht seit 2017 ein insu­lin­pflich­ti­ger Dia­be­tes mel­li­tus Typ1. Es erfolgt eine Behand­lung vier­mal täg­lich mit Insu­lin (3x zu den Haupt­mahl­zei­ten und 1x spät abends). 

Bei jeder Mahl­zeit muss die Koh­len­hy­drat­men­ge im Essen abge­schätzt und der Blut­zu­cker gemes­sen wer­den. Mit­hil­fe eines Spritz­plans muss dann die zu inji­zie­ren­de Insu­lin­men­ge bestimmt wer­den. Kin­der und Jugend­li­che benö­ti­gen hier­bei eine inten­si­ve Unter­stüt­zung ihrer Eltern bei der Zusam­men­stel­lung der Mahl­zeit, Abschät­zen der Koh­len­hy­dra­te und Bestim­mung der Insulinmenge. 

Trotz inten­si­ver Schu­lungs­maß­nah­men von Pati­en­tin und Mut­ter sowohl sta­tio­när als auch ambu­lant war es nicht gelun­gen eine adäqua­te Stoff­wech­sel­ein­stel­lung mit Lang­zeit­wer­ten des HbA1c < 7,5 % zu errei­chen. Grund hier­für waren inner­fa­mi­liä­re Belas­tun­gen (allein­er­zie­hen­de Mut­ter mit eige­ner Erkran­kung, gerin­ge sozia­le Res­sour­cen und man­geln­de erzie­he­ri­sche Kom­pe­ten­zen). Die Mut­ter hat auch einen insu­lin­pflich­ti­gen Dia­be­tes mit meh­re­ren Fol­ge­er­kran­kun­gen und benö­tigt mehr­mals wöchent­lich eine Dia­ly­se­be­hand­lung. Sie ist dau­er­haft nicht in der Lage die not­wen­di­gen Struk­tu­ren zu schaf­fen, um eine adäqua­te The­ra­pie­um­set­zung zu gewährleisten. 

Eine Unter­stüt­zung durch einen Pfle­ge­dienst war ver­sucht wor­den. Jedoch konn­te hier­durch auch kei­ne befrie­di­gen­de Ver­bes­se­rung erzielt wer­den. Oft­mals war zu den ver­ein­bar­ten Ter­mi­nen, zu denen der Pfle­ge­dienst drei­mal täg­lich kommt, nie­mand zu Hau­se, kei­ne Mahl­zeit vor­be­rei­tet oder kei­ne Lebens­mit­tel für eine Mahl­zeit vorhanden. 

Oft­mals wur­den ver­ein­bar­te Ter­mi­ne in der Dia­be­tes­am­bu­lanz nicht wahrgenommen. 

Der Fami­lie feh­len die not­wen­di­gen Res­sour­cen um The­ra­pie­emp­feh­lun­gen umzu­set­zen und die struk­tu­rell not­wen­di­gen Vor­aus­set­zun­gen zu schaffen. 

In die­sem Fall sind die Fami­lie und die behan­deln­den Ärzte:innen auf die Unter­stüt­zung der Jugend­hil­fe ange­wie­sen um eine adäqua­te The­ra­pie­ad­hä­renz zu gewähr­leis­ten und somit schwe­re kör­per­li­che Schä­den zu ver­hin­dern und die Lebens­qua­li­tät für das Mäd­chen lang­fris­tig zu ver­bes­sern. Es wur­de eine Fami­li­en­hil­fe ein­ge­setzt, die bei der Struk­tu­rie­rung des All­tags unter­stüt­zen und der Mut­ter Impul­se zur Ver­bes­se­rung ihrer erzie­he­ri­schen Kom­pe­ten­zen geben konnte. 


PKU

Fallbeispiel

Der 13-jäh­ri­ge Tom lei­det an der schwe­ren Stoff­wech­sel­krank­heit PKU (Phe­nyl­ke­tonurie). Neben der täg­li­chen Medi­ka­men­ten­ein­nah­me muss Tom auch eine stren­ge Diät ein­hal­ten, die kaum Eiweiß ent­hal­ten darf. Nor­ma­le Nah­rungs­mit­tel wie Fleisch, Wurst­wa­ren, Milch­pro­duk­te, Eier und Hül­sen­früch­te muss er strikt mei­den. Tom möch­te sich aber zuneh­mend selbst­stän­di­ger mit sei­nen Freun­den tref­fen und sich so wie sie ver­hal­ten. Das gemein­sa­me Essen mit den Freun­den ist für Tom wich­tig. Sei­ne Phe­nyl­ala­nin­wer­te und sein kör­per­li­cher Zustand ver­schlech­tern sich, so dass sei­ne Eltern stren­ge­re Kon­troll­maß­nah­men ein­füh­ren. Es kommt ver­mehrt zu Streit und nach­fol­gend zu einer Ver­wei­ge­rungs­hal­tung von Tom in Bezug auf sei­ne Medi­ka­men­te und die Diät. 

Der Kon­flikt zwi­schen Ablö­sungs­ten­den­zen des Kin­des und dem Wunsch der Erzie­hungs­be­rech­tig­ten die Kon­trol­le über die Erkran­kung nicht zu ver­lie­ren, kann zu schwe­ren inner­fa­mi­liä­ren Kon­flik­ten füh­ren: Der Wunsch nach alters­nor­ma­lem Ver­hal­ten in der Peer­group führt bei vie­len chro­nisch kran­ken Jugend­li­chen zu man­gel­haf­ter Adhä­renz ins­be­son­de­re in Bezug auf Medi­ka­men­ten­ein­nah­me. Die fol­gen­den elter­li­chen Kon­troll­maß­nah­men kön­nen in einem Teu­fels­kreis aus zuneh­men­der Kon­trol­le auf der Sei­te der Eltern und zuneh­mend devi­an­tem Ver­hal­ten auf der Sei­te der Jugend­li­chen mün­den und die Gesund­heit nach­hal­tig schä­di­gen. Gelingt es dem Fami­li­en­sys­tem mit Hil­fe des Behand­lungs­teams nicht, die Gesund­heits­für­sor­ge aus­rei­chend sicher­zu­stel­len, sind die Betei­lig­ten auf die Unter­stüt­zung der Jugend­hil­fe ange­wie­sen um den Fami­li­en in Bezug auf Erzie­hungs­fä­hig­keit, Tages­struk­tur und Beglei­tung der Los­lö­sungs­pro­zes­se zu helfen. 


Adipositas

Fallbeispiel

Die vier­zehn­jäh­ri­ge Lau­ra wird von dem behan­deln­den Kin­der­arzt auf Grund ihrer extre­men Adi­po­si­tas in die päd­ia­tri­sche Tages­kli­nik überwiesen. 

Bei Auf­nah­me hat das Mäd­chen einen BMI von 35,1 und liegt somit deut­lich über der 99,5. Perzentile. 

Die Unter­su­chun­gen erge­ben des Wei­te­ren, dass das Mäd­chen eine Steato­sis hepa­tis, eine arte­ri­el­le Hyper­to­nie, eine Hyper­cho­le­ste­rin­ämie und eine Hyper­urik­ämie hat. 

Die Fami­lie zeigt sich besorgt um den Gesund­heits­zu­stand, ist aber auf Grund schwer­wie­gen­der psy­cho­so­zia­ler Belas­tungs­fak­to­ren wenig res­sour­cen­stark um die nöti­gen Ver­än­de­run­gen im Fami­li­en­all­tag zu inte­grie­ren. Die zwei Geschwis­ter und die Eltern sind eben­falls adipös. 

Für die Fami­lie ist es pro­ble­ma­tisch, Mahl­zei­ten zu gere­gel­ten Zei­ten gemein­sam ein­zu­neh­men.  Die Fami­li­en­mit­glie­der essen getrennt, die Kin­der in ihren Zim­mern vor dem Fern­se­her oder dem PC. 

Die Nah­rungs­mit­tel­aus­wahl ist pro­ble­ma­tisch und ent­hält kaum Obst und Gemü­se. Die Fami­lie trinkt Limo­na­de, Eis­tee und das Mäd­chen gele­gent­lich Energydrinks. 

Das Mäd­chen fährt mit dem Bus zur Schu­le oder wird von ihren Eltern mit dem Auto gefahren. 

Die Frei­zeit­ge­stal­tung ist wenig abwechs­lungs­reich, über­wie­gend geprägt von Medi­en­kon­sum und weni­gen sozia­len Kontakten. 

Die Medi­en­zeit beträgt in der Woche täg­lich zwi­schen 6 Stun­den und 9 Stun­den, am Wochen­en­de mehr. 

Das Mäd­chen erzählt von Beschimp­fun­gen und Aus­gren­zun­gen, seit der drit­ten Klas­se in der Grundschule. 

Die Fami­lie bedarf Unter­stüt­zung der Jugend­hil­fe bei der Refle­xi­on ihrer Essens­mus­ter und Fami­li­en­struk­tu­ren. Eben­so zur Umset­zung der nöti­gen Ver­än­de­run­gen in Bezug auf die Ernäh­rung, All­tags­be­we­gung und Medienkonsum. 

Die Eltern müs­sen in ihrer Erzie­hungs­kom­pe­tenz gestärkt wer­den um Regeln und Struk­tu­ren zu imple­men­tie­ren. Ohne eine deut­li­che Gewichts­ab­nah­me wer­den mas­si­ven Adi­po­si­tas-asso­zi­ier­ten Kom­or­bi­di­tä­ten zuneh­men, die ihre Lebens­qua­li­tät vermindern. 

Die psy­cho­so­zia­len Belas­tun­gen, auch durch Aus­gren­zung und Mob­bing wer­den zu sozia­lem Rück­zug führt. Alters­ad­äqua­te Erfah­run­gen in der Ado­les­zenz wer­den nicht gemacht, beruf­li­che Ori­en­tie­rung deut­lich erschwert.