Ursachen

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Eine Erkran­kung kann sowohl Ursa­che als auch Fol­ge einer Kin­des­wohl­ge­fähr­dung sein 

Wird bei Kin­dern und Jugend­li­chen mit chro­ni­schen Krank­hei­ten eine Kin­des­wohl­ge­fähr­dung ver­mu­tet, ist zunächst zu unter­schei­den, ob die Kin­des­wohl­ge­fähr­dung Ursa­che oder Fol­ge der Erkran­kung ist. Liegt der Erkran­kung eine ver­gan­ge­ne oder andau­ern­de Miss­hand­lung oder Ver­nach­läs­si­gung zugrun­de? Oder schä­digt eine Ver­nach­läs­si­gung der Gesund­heits­für­sor­ge die Betrof­fe­nen und bedroht sie in ihrer Ent­wick­lung bzw. ihrem Leben? 

Zur rich­ti­gen Ein­ord­nung ist es wich­tig zu wis­sen, dass das Risi­ko an bestimm­ten chro­ni­schen Erkran­kun­gen zu erkran­ken nach Miss­hand­lung und Ver­nach­läs­si­gung ansteigt [15]. Hier sind neben psy­chi­schen Erkran­kun­gen und Ess­stö­run­gen, mit­tel­fris­tig Asth­ma und All­er­gien zu nen­nen, lang­fris­tig auch Blut­hoch­druck, Dia­be­tes und Krebs­er­kran­kun­gen. Ver­mut­lich ursäch­lich hier­für sind ver­än­der­te und anhal­ten­de Stress­zu­stän­de, die mit anhal­tend hohen Cor­ti­sol­spie­geln und einer ver­än­der­ten endo­kri­nen (hor­mo­nel­len) Reak­ti­on auf Stress­rei­ze ein­her­ge­hen [22].

Im All­tag des medi­zi­ni­schen Sys­tems häu­fig rele­van­ter ist die Situa­ti­on, dass Fami­li­en chro­nisch kran­ker Kin­der eine abge­spro­che­ne Behand­lung oder ande­re indi­zier­te medi­zi­ni­sche Maß­nah­men ableh­nen oder aus Über­for­de­rung nicht durch­füh­ren. Durch die­ses Ver­hal­ten kann es zu bedroh­li­chen und die Ent­wick­lung hem­men­den Situa­tio­nen kom­men. In der medi­zi­ni­schen Fach­spra­che ist in die­sem Zusam­men­hang von man­geln­der Adhä­renz die Rede (vgl. Adhä­renz).

Bei­de beschrie­be­ne Mög­lich­kei­ten kön­nen sich selbst­ver­ständ­lich über­schnei­den. In einer Fami­lie, in der Kin­der miss­han­delt wer­den, was wie­der­um chro­ni­sche Krank­hei­ten her­vor­bringt oder ver­schlim­mert, kann gleich­zei­tig eine Gefähr­dung durch eine man­geln­de Gesund­heits­für­sor­ge und Adhä­renz vorliegen. 

Wich­tig ist die Ori­en­tie­rung an den Wün­schen der Betroffenen

Bei der Bewer­tung spie­len fol­gen­de Fak­to­ren eine beson­ders wich­ti­ge Rol­le: Die Schwe­re und Pro­gno­se der Erkran­kung, die Beein­flus­sung der Erkran­kung durch das Ver­hal­ten des sozia­len Umfelds, das Alter, die Selb­stän­dig­keit sowie kogni­ti­ven Fähig­kei­ten der Patient:innen. Bei der wei­te­ren Abwä­gung not­wen­di­ger Schrit­te sind vor­ran­gig die Wün­sche der Betrof­fe­nen zu berück­sich­ti­gen. Die­se sind sowohl vom medi­zi­ni­schen als auch vom Sys­tem der Kin­der- und Jugend­hil­fe aus­führ­lich zu erfra­gen (vgl. Leit­fra­gen). In Fäl­len, in denen die Wün­sche der Fami­lie nicht mit einer aus­rei­chen­den Gesund­heits­für­sor­ge in Ein­klang zu brin­gen sind, muss teil­wei­se auch gegen den Wil­len der Sor­ge­be­rech­tig­ten gehan­delt werden. 

Unter­stüt­zen­de Maß­nah­men soll­ten im Zusam­men­wir­ken aller Sys­te­me ein­ge­lei­tet werden 

Wer­den Unter­stüt­zungs­be­dar­fe erkannt, soll­ten im inter­dis­zi­pli­nä­ren Aus­tausch der Sys­te­me Mög­lich­kei­ten erwo­gen wer­den, die eine Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on bewir­ken kön­nen. Chro­ni­sche Erkran­kun­gen erfor­dern oft­mals ein Zusam­men­wir­ken der Leis­tun­gen unter­schied­li­cher Sozi­al­lei­tungs­trä­ger und Schulen. 

Beson­ders her­aus­for­dernd ist die Ver­knüp­fung von Leis­tun­gen aus den Sozi­al­ge­setz­bü­chern V (Gesetz­li­che Kran­ken­ver­si­che­rung), VII (Gesetz­li­che Unfall­ver­si­che­rung) und X (Sozi­al­ver­wal­tungs­ver­fah­ren und Sozi­al­da­ten­schutz). Es bedarf einer guten Steue­rung und einer inten­si­ven Abspra­che zwi­schen den Akteur:innen, um eine opti­ma­le Betreu­ung der Betrof­fe­nen zu gewähr­leis­ten und Kin­des­wohl­ge­fähr­dun­gen abzuwenden. 


Adhärenz

Bei einer chro­ni­schen Erkran­kung liegt die Ver­ant­wor­tung für den The­ra­pie­er­folg in der gemein­sa­men Ver­ant­wor­tung der Behan­deln­den und der Patient:innen. Die­se koope­ra­ti­ve Bezie­hung, in deren Rah­men ein Behand­lungs­kon­zept gemein­sam fest- und umge­setzt wird bezeich­net man als Adhä­renz. Abzu­gren­zen davon ist der ver­al­te­te Begriff Com­pli­ance. Die­ser beschreibt das Maß an The­ra­pie­treue bei einer aku­ten, zeit­lich befris­te­ten Erkran­kung, des­sen Ver­ant­wor­tung für den The­ra­pie­er­folg allein beim Pati­en­ten liegt [23].

Bei der Behand­lungs­pla­nung einer chro­ni­schen Erkran­kung gilt es ver­schie­de­ne Fak­to­ren zu berück­sich­ti­gen, die die Adhä­renz beein­flus­sen. Im Grund­satz soll­ten Patient:innen als mün­dig wahr­ge­nom­men wer­den und durch Schu­lun­gen zu Expert:innen der eige­nen Erkran­kung wer­den, um aktiv und eigen­ver­ant­wort­lich am The­ra­pie­plan mit­wir­ken zu können. 

Patient:innen soll­ten zu mün­di­gen Expert:innen ihrer Erkran­kung werden 

Die meis­ten Patient:innen mit chro­ni­scher Erkran­kung wün­schen sich größt­mög­li­che Teil­ha­be und Nor­ma­li­tät im All­tag. Dies gilt ins­be­son­de­re für Jugend­li­che, die nicht „anders“ als Gleich­alt­ri­ge sein wol­len und somit in Kon­flikt mit ihren Eltern und dem Behand­lungs­team gera­ten kön­nen. Hier gilt es den Jugend­li­chen mit Ver­ständ­nis für ihre Lebens­si­tua­ti­on gegen­über­zu­tre­ten und das Ver­ständ­nis für den Krank­heits­ver­lauf, die Wirk­wei­se der The­ra­pien und die sozia­len Aspek­te der Erkran­kung zu schu­len um die Selbst­wirk­sam­keit der Jugend­li­chen zu erhö­hen und ihnen zu ermög­li­chen Eigen­ver­ant­wor­tung zu übernehmen. 

Adhä­renz­stär­ken­den und ‑schwä­chen­den Fak­to­ren bei der Gefähr­dungs­ein­schät­zung prüfen

Im Rah­men der Gefähr­dungs­ein­schät­zung gilt es (bspw. anhand von Leit­fra­gen) alle Fak­to­ren zu eva­lu­ie­ren, die die Adhä­renz und Krank­heits­be­wäl­ti­gung stär­ken oder schwä­chen. So kön­nen sys­te­mi­sche Fak­to­ren wie Schu­le, Peers oder das Behand­lungs­team hilf­reich im Sin­ne einer Unter­stüt­zung sein und zur Krank­heits­be­wäl­ti­gung bei­tra­gen, aber durch feh­len­de Rück­sicht­nah­me oder Druck die Adhä­renz auch gefähr­den. Schwie­rig­kei­ten in der Zusam­men­ar­beit mit dem medi­zi­ni­schen Sys­tem oder den Netz­wer­ken der Kin­der- und Jugend­hil­fe haben häu­fig ihren Ursprung in per­sön­li­chen Über­zeu­gun­gen. So kön­nen Pro­ble­me bspw. auf­grund welt­an­schau­li­cher, kul­tu­rel­ler und reli­giö­ser Anschau­un­gen ent­ste­hen, wenn die­se den The­ra­pie­maß­nah­men im Wege stehen.


Belastungsfaktoren

Im Rah­men der Gefähr­dungs­ein­schät­zung gilt es ver­schie­de­ne Fak­to­ren zu berück­sich­ti­gen, die mit der Erkran­kung ein­her­ge­hen oder durch die­se ver­stärkt wer­den und zum Ent­ste­hen einer Kin­des­wohl­ge­fähr­dung bei­tra­gen kön­nen. Zu unter­schei­den sind dabei Belas­tungs­fak­to­ren auf Sei­ten der Eltern von Belas­tungs­fak­to­ren auf Sei­ten der betrof­fe­nen Kinder. 

Kindliche Belastungsfaktoren

Die kind­li­chen Belas­tungs­fak­to­ren gehen zu einem gro­ßen Teil auf die Erkran­kung selbst zurück. Hier spie­len neben den Sym­pto­men der Erkran­kung v. a. die Belas­tun­gen der The­ra­pie, häu­fi­ge Arzt­be­su­che und ggf. schmerz­haf­te Dia­gnos­tik eine Rol­le. Man­che Kin­der ent­wi­ckeln star­ke Ängs­te, die den Fort­gang der wei­te­ren medi­zi­ni­schen Betreu­ung beein­flus­sen und die, wenn ihnen nicht adäquat begeg­net wird, in einer Ver­wei­ge­rung der Behand­lung mün­den kön­nen. In Fami­li­en mit aus­rei­chen­den (sozia­len) Res­sour­cen kön­nen die genann­ten Belas­tun­gen auf­ge­fan­gen wer­den. Bestehen aber wei­te­re fami­liä­re bzw. elter­li­che Belas­tun­gen (s.u.), ist die Krank­heits­be­wäl­ti­gung zum Teil erschwert. 

Schwie­rig­kei­ten im Rah­men der Behand­lung ent­ste­hen häu­fig bei Los­lö­sungs­pro­zes­sen in der Puber­tät (vgl. Fall­bei­spie­le) oder wenn die Eltern eine ableh­nen­de Hal­tung der Behand­lung oder dem Behand­lungs­team gegen­über ein­neh­men. In die­sen Situa­tio­nen kön­nen Kin­der in einen Loya­li­täts­kon­flikt gera­ten, der ihnen die Mit­ar­beit an der Behand­lung erschwert [24]. Im Kon­text von ado­les­zen­ten, inner­fa­mi­liä­ren Kon­flik­ten kann es ver­ein­zelt zu einer Instru­men­ta­li­sie­rung der Erkran­kung und der not­wen­di­ger The­ra­pie kom­men. Die adäqua­te Adhä­renz wird dann mit ande­ren in der Puber­tät typi­schen Kon­flik­ten verhandelt. 

Liegt der chro­ni­schen Krank­heit eine in der Ver­gan­gen­heit lie­gen­de oder wei­ter andau­ern­de Kin­des­miss­hand­lung oder ‑ver­nach­läs­si­gung zu Grun­de, zei­gen vie­le Kin­der in ver­schie­de­nen Berei­chen Auf­fäl­lig­kei­ten, ins­be­son­de­re im Sozi­al­ver­hal­ten. Daher kann sowohl für die­se Kin­der, aber auch für das Behand­lungs­team her­aus­for­dernd sein, eine funk­tio­nie­ren­de Behand­lungs­be­zie­hung auf­zu­bau­en und auf­recht­zu­er­hal­ten [25].

Elterliche Belastungsfaktoren: 

Belas­tungs­fak­to­ren, die durch die Sor­ge­be­rech­tig­ten ver­mit­telt sind, spie­len bei der Ein­schät­zung einer Kin­des­wohl­ge­fähr­dung im Rah­men chro­ni­scher Krank­heit eine beson­ders gro­ße Rolle. 

Die Stres­so­ren, denen Eltern chro­nisch kran­ker Kin­der aus­ge­setzt sind, sind viel­fäl­tig. An ers­ter Stel­le ste­hen in vie­len Fäl­len die Krank­heits­sym­pto­me des Kin­des selbst, ins­be­son­de­re wenn sich Eltern regel­mä­ßig mit Schmer­zen, Erschöp­fungs­zu­stän­den und mög­li­chen Spät­fol­gen der Krank­heit ihrer Kin­der kon­fron­tiert sehen [26]. Ein chro­nisch erkrank­tes Kind ist aus meh­re­ren mit der Krank­heit ein­her­ge­hen­den Grün­den in beson­de­rer Wei­se an sei­ne Fami­lie gebun­den. Zum einen erfor­dert das Krank­heits­ma­nage­ment, also die Wah­rung der Auf­ga­ben zur Dia­gnos­tik, The­ra­pie und Prä­ven­ti­on Res­sour­cen von der gan­zen Fami­lie. Zum ande­ren kann der psy­chi­sche Druck durch eine evtl. unkla­re Pro­gno­se und Ver­lauf der Erkran­kung auf allen Fami­li­en­mit­glie­dern las­ten. Zusätz­lich kön­nen Funk­ti­ons- und Akti­vi­täts­ein­schrän­kun­gen zu beson­de­ren Anfor­de­run­gen an die Pfle­ge und Ver­sor­gung des Kin­des füh­ren, die meis­tens von den Eltern über­nom­men wird [27]. Der damit ver­bun­de­ne erhöh­te Zeit­auf­wand stei­gert das Risi­ko für Ein­schrän­kun­gen in der Berufs­fä­hig­keit und damit ein­her­ge­hen­der erhöh­ter finan­zi­el­ler Belas­tung [28]. Aber auch in ihren Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten und sozia­len Kon­tak­ten sind die betreu­en­den Eltern chro­nisch kran­ker Kin­der häu­fig ein­ge­schränkt [29]. Hin­zu­kom­men Selbst­vor­wür­fe bei erb­lich beding­ten Erkran­kun­gen, Zukunfts­ängs­te und inner­fa­mi­liä­re Kon­flik­te, wie Geschwis­ter­ri­va­li­tä­ten [30]. Nicht alle die­se Stres­so­ren sind spe­zi­fisch für das Vor­lie­gen einer chro­ni­schen Erkran­kung, son­dern kom­men auch in gesun­den Fami­li­en vor. Doch da auf­grund der Erkran­kung über das nor­ma­le Maß hin­aus zusätz­li­che Belas­tungs­fak­to­ren auf­tre­ten kann von einer „Dop­pel­be­las­tung“ [31] gespro­chen wer­den. Ver­stärkt wer­den die Belas­tun­gen dadurch, dass es den Eltern chro­nisch kran­ker Kin­der häu­fig schwer fällt Regeln kon­se­quent durch­zu­set­zen und Ver­bo­te auf­zu­stel­len, was zu einem erhöh­ten Aus­maß an Stress in der Erzie­hung führt [32]. Die­ser Effekt ver­stärkt sich, wenn das betrof­fe­ne Kind funk­tio­nel­le Ein­schrän­kun­gen auf­weist, was die psy­chi­sche Belas­tung der betreu­en­den Eltern maxi­miert [33]. Die „psy­cho­so­zia­le Anpas­sung“ [27, 34] und das „fami­liä­re Funk­ti­ons­ni­veau“ [35] bei den betrof­fe­nen Eltern ist ver­min­dert und die Sym­ptom­wer­te für Ängs­te, Depres­sio­nen und psy­chi­schen Stress sind erhöht [36].

Neben den Her­aus­for­de­run­gen durch die Erkran­kung des Kin­des kön­nen zusätz­li­che Belas­tun­gen dazu füh­ren, dass die Res­sour­cen der Fami­lie über­schrit­ten wer­den. Hier­zu zäh­len z. B. psy­chi­sche Erkran­kun­gen, allein­er­zie­hen­de Eltern, finan­zi­el­le Pro­ble­me, elter­li­che Kon­flik­te und Sucht­er­kran­kun­gen in der Fami­lie. Müs­sen zusätz­lich zum erkrank­ten Kind noch meh­re­re oder sehr jun­ge Geschwis­ter­kin­der ver­sorgt wer­den, kann dies die Fami­lie vor wei­te­re Pro­ble­me stellen. 

Im Rah­men vor­ge­nann­ter oder anders­ge­la­ger­ter Pro­ble­me kann es zu man­geln­der Adhä­renz, Leug­nung der Erkran­kung bis hin zu völ­li­gem Rück­zug und Iso­la­ti­on kom­men. In der Fol­ge kann dies zu teils gra­vie­ren­den gesund­heit­li­chen Schä­di­gun­gen und man­geln­der gesell­schaft­li­cher Teil­ha­be der Kin­der und Jugend­li­chen führen. 


Herausforderungen für die Systeme 

Eine chro­ni­sche Krank­heit kann das Leben und die Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten auf viel­fäl­ti­ge Wei­se beein­träch­ti­gen. Neben den direk­ten kör­per­li­chen und see­li­schen Fol­gen einer Erkran­kung spie­len die Umge­bung, das fami­liä­re Sys­tem, die medi­zi­ni­schen Behandler:innen und die Kin­der- und Jugend­hil­fe eine Rol­le, wenn aus chro­ni­scher Erkran­kung eine Kin­des­wohl­ge­fähr­dung resul­tiert oder umge­kehrt eine sozi­al zuneh­mend belas­ten­de Situa­ti­on eine bestehen­de chro­ni­sche Erkran­kung (oder deren Behand­lung) ver­schlech­tert. Es gilt daher für alle Betei­lig­ten vor Ein­lei­tung einer Maß­nah­me zu prü­fen, ob die­se zur Krank­heits­be­wäl­ti­gung sinn­voll ist, zum Schutz des Kin­des bei­trägt und kei­ne über­mä­ßi­ge zusätz­li­che Belas­tung für das Kind oder die Fami­lie darstellt. 

Herausforderungen des Medizinischen Systems: 

Bei der Behand­lung chro­nisch kran­ker Kin­der ste­hen die behan­deln­den Per­so­nen vor der Her­aus­for­de­rung mit aus­rei­chen­der Trenn­schär­fe zwi­schen kom­ple­xen, u.U. kom­pli­ka­ti­ons­rei­chen medi­zi­ni­schen Pro­ble­men auf­grund derer das betrof­fe­ne Kind u.U. in Lebens­ge­fahr schwebt aber kei­ne Kin­des­wohl­ge­fähr­dung dar­stellt und sol­chen Pro­ble­men zu unter­schei­den, die ihre Ursa­che im sozia­len Umfeld des Kin­des haben, eine Kin­des­wohl­ge­fähr­dung dar­stel­len und im Rah­men einer Gefähr­dungs­mel­dung gelöst wer­den müs­sen. Man­geln­de Kennt­nis­se der recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen und der zustän­di­gen Netz­wer­ke sind in der Medi­zin noch ver­brei­tet und kön­nen Hemm­nis­se sein, eine Kin­des­wohl­ge­fähr­dung sicher zu erken­nen, einen Ansprech­part­ner in der Kin­der- und Jugend­hil­fe zu fin­den und not­wen­di­ge Maß­nah­men ein­zu­lei­ten. Hin­zu­kommt (v.a. im ambu­lan­ten Bereich), dass die Abklä­rung einer Kin­des­wohl­ge­fähr­dung zeit­auf­wän­dig ist und schlecht abge­rech­net wer­den kann. 

Her­aus­for­de­run­gen für die Medi­zin:

  • Ansprech­part­ner beim Jugend­amt finden 
  • Trenn­schär­fe zwi­schen kom­ple­xen medi­zi­ni­schen Pro­ble­men und KWG 
  • Kom­ple­xi­tät der Maß­nah­men senkt Adhärenz 
  • recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen, zeit­li­che und finan­zi­el­le Ressourcen 
  • zusätz­li­che Belas­tung durch medi­zi­ni­sche Maßnahmen 
  • Über­gang in Palliativsituation

Zusätz­lich gilt es zu beach­ten, dass Fami­li­en chro­nisch kran­ker Kin­der teil­wei­se unter der hohen Anzahl an The­ra­pie- und Dia­gnos­tik­maß­nah­men lei­den. Über­schrei­ten die Anfor­de­run­gen die Res­sour­cen der Fami­lie kann eine Über­for­de­rungs­si­tua­ti­on resul­tie­ren, in der die Zusam­men­ar­beit mit dem Behand­lungs­team Scha­den nimmt. Auch kann eine in Art und Umfang über­trie­be­ne The­ra­pie und Dia­gnos­tik Belas­tun­gen für die Kin­der und deren Fami­li­en bedeu­ten: The­ra­pie, die kom­pli­ziert oder zeit­auf­wän­dig ist, kei­ne unmit­tel­ba­re Rück­mel­dung über die kor­rek­te Durch­füh­rung bie­tet, kei­nen unmit­tel­ba­ren Nut­zen zeigt, beein­träch­ti­gend ist oder die Erkran­kung für Drit­te sicht­bar macht ver­schlech­tert die Adhä­renz [23].

Im Rah­men schwer­wie­gend ver­lau­fen­der Erkran­kun­gen ist auch der Zeit­punkt, ab dem inva­si­ve Maß­nah­men mit dem Ziel einer Hei­lung zu Guns­ten einer pal­lia­ti­ven Behand­lung zurück­ge­fah­ren wer­den müs­sen, teil­wei­se schwie­rig zu ermitteln. 

Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe: 

Bei Bekannt­wer­den gilt es die Rele­vanz der Erkran­kung sowie deren Behand­lung für die Hil­fe­pla­nung und even­tu­el­le Inter­ven­tio­nen zu eru­ie­ren. Hier­zu ist ein aus­rei­chend tie­fes Ver­ständ­nis der Erkran­kung, der Medi­ka­ti­on und der Pro­gno­se not­wen­dig. Außer­dem muss der Ein­fluss der Krank­heit auf das Fami­li­en­sys­tem und umge­kehrt der Ein­fluss des Fami­li­en­sys­tems auf die Erkran­kung ver­stan­den wer­den. Schwie­rig­kei­ten kön­nen ent­ste­hen, wenn man­geln­de Kennt­nis der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­struk­tu­ren auf ein­ge­schränk­te Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten der Fami­li­en mit chro­nisch kran­ken Kin­dern im Bereich der Kin­der- und Jugend­hil­fe tref­fen. Ins­be­son­de­re wenn eine Inob­hut­nah­me in Betracht gezo­gen wird, ist die Pla­nung der Unter­brin­gung eines chro­nisch kran­ken Kin­des häu­fig schwie­rig und bedarf Schu­lun­gen der zukünf­ti­gen Betreu­ungs­per­so­nen. Aber auch die päd­ago­gi­sche Unter­stüt­zung von Fami­li­en mit kran­ken Kin­dern ist her­aus­for­dernd. Das Span­nungs­feld zwi­schen medi­zi­ni­schen und sozia­len Pro­ble­men kann das Gefühl des „nicht-zustän­dig-seins“ oder der Über­for­de­rung her­vor­ru­fen. Das Ver­ständ­nis, dass (chro­ni­sche) Krank­hei­ten immer eine bio-psycho-sozia­le Struk­tur haben, ist noch nicht flä­chen­de­ckend ver­brei­tet. Leis­tun­gen aus dem SGB VIII sind in man­chen Fami­li­en daher ele­men­ta­rer Bestand­teil der medi­zi­ni­schen The­ra­pie oder ermög­li­chen die­se erst. 

Her­aus­for­de­run­gen für die Kin­der- und Jugendhilfe: 

  • Schutz­maß­nah­men und Hil­fe­pla­nung unter erschwer­ten Rahmenbedingungen

Daher soll­te es fach­li­cher Stan­dard sein, dass Fach­kräf­te der Kin­der- und Jugend­hil­fe bei Kin­dern und Jugend­li­chen mit chro­ni­scher Erkran­kung oder Behin­de­rung, bei denen eine Kin­des­wohl­ge­fähr­dung zu über­prü­fen ist, immer medi­zi­ni­sche Fach­leu­te hin­zu­zie­hen, um die Bedeu­tung, die aktu­el­le Schwe­re und die zukünf­ti­ge Pro­gno­se der Erkran­kung rich­tig ein­schät­zen und in der Hil­fe­pla­nung adäquat berück­sich­ti­gen zu kön­nen. Es kön­nen betreu­en­de Kinderärzt:innen, Fach­kräf­te aus dem Gesund­heits­amt oder spe­zia­li­sier­te Ärzt:innen sein, die bei der Ein­ord­nung hel­fen. Beson­ders soll hier auf die Medi­zi­ni­sche Kin­der­schutz­hot­line hin­ge­wie­sen wer­den, die eine Bera­tung auch für Fach­kräf­te aus dem Jugend­hil­fe­sys­tem anbietet. 

Bei der Hil­fe­pla­nung für chro­nisch kran­ke Kin­der ist immer medi­zi­ni­sches Fach­per­so­nal hinzuziehen.

Medizinische Kinderschutz-Hotline

Auf die Exper­ti­se von Ärzt:innen kön­nen sowohl Fach­kräf­te des ASD und frei­er Trä­ger als auch im Gesund­heits­we­sen Täti­ge rund um die Uhr über die vom Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­ri­um getra­ge­ne Medi­zi­ni­sche Kin­der­schutz­hot­line unter 0800 19 21 000 zurückgreifen. 


Gelingensfaktoren in der Zusammenarbeit der Systeme 

In der Zusam­men­ar­beit zwi­schen den Sys­te­men Medi­zin und Kin­der- und Jugend­hil­fe kommt es immer wie­der zu beson­de­ren Her­aus­for­de­run­gen. Die Sys­te­me unter­schei­den sich ange­sichts eines „Fal­les“ in der Struk­tur und der Her­an­ge­hens­wei­se Die Medi­zin und die Kin­der- und Jugend­hil­fe ver­wen­den eige­ne Fach­spra­chen, Abkür­zun­gen und Rechts­be­grif­fe, die dem jeweils ande­ren Sys­tem oft nicht oder nur teil­wei­se ver­ständ­lich sind. 

Ein gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis für die unter­schied­li­chen pro­fes­sio­nel­len Ein­schät­zun­gen im jewei­li­gen Fall spielt eine erheb­li­che Rol­le für den posi­ti­ven Ver­lauf der inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­ar­beit zwi­schen Medi­zin und Kin­der- und Jugend­hil­fe. Gemein­sa­me Fall­be­spre­chun­ge sind beson­ders hilf­reich, um ein gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis des Fal­les wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Es gilt die Krank­heit nicht iso­liert, son­dern in ihren sozia­len Aus­wir­kun­gen zu betrach­ten. Sel­ten ist chro­ni­sche Krank­heit ein rein medi­zi­ni­sches Pro­blem und in der Trag­wei­te mit ande­ren schwe­ren nega­ti­ven Ein­flüs­sen auf das Fami­li­en­le­ben ver­gleich­bar. Früh­zei­ti­ge Abspra­chen erleich­tern das Auf­fan­gen von mög­li­chen Krisensituationen. 

In Kon­stel­la­tio­nen, in denen Kin­der medi­zi­nisch not­wen­di­ge Maß­nah­men aktiv ver­wei­gern, ist es beson­ders wich­tig, die Kin­der immer wie­der zu betei­li­gen, Dyna­mi­ken aus­zu­hal­ten und auch klei­ne Erfol­ge und Fort­schrit­te posi­tiv zu wer­ten. In sol­chen Fall­kon­stel­la­tio­nen müs­sen sowohl Medi­zin als auch die Kin­der- und Jugend­hil­fe immer wie­der mit den Kin­dern und Jugend­li­chen in Kon­takt gehen, um gemein­sam Wege für die Zusam­men­ar­beit zu finden. 

Ver­ant­wort­lich­kei­ten soll­ten ver­bind­lich (bspw. im Rah­men von Koope­ra­ti­ons­ver­ein­ba­run­gen) fest­ge­legt wer­den. Hier ist der enge Aus­tausch zwi­schen Medi­zin und Jugend­hil­fe wich­tig, auch über die Zeit eines aku­ten Gesche­hens hin­aus. Für das Gelin­gen der Zusam­men­ar­beit ist es hilf­reich in Zei­ten der Eska­la­ti­on bereits an die fol­gen­den Mona­te zu den­ken und bspw. einen erneu­ten Run­den Tisch mit allen Betei­lig­ten im Ver­lauf zu ver­ein­ba­ren. Hier kön­nen mit der Fami­lie beschlos­se­ne Zie­le in Abhän­gig­keit der medi­zi­ni­schen und sozia­len Ent­wick­lun­gen über­prüft und Hil­fen ggf. ange­passt wer­den. Eine der­ar­ti­ge enge Ver­zah­nung der medi­zi­ni­schen und sozi­al­päd­ago­gi­schen Maß­nah­men ist not­wen­dig, damit die Hil­fen nicht ver­san­den oder (z.B. bei Bes­se­rung der medi­zi­ni­schen Situa­ti­on) über das Ziel hin­aus­schie­ßen. Regel­mä­ßi­ge Kon­tak­te stär­ken die Arbeits­be­zie­hung und das Ver­trau­en der han­deln­den Fach­kräf­te unter­ein­an­der, garan­tie­ren ein gemein­sa­mes Fall­ver­ständ­nis und ermög­li­chen eine ange­pass­te, sinn­vol­le und ratio­na­le Pla­nung von The­ra­pie und Hil­fe­maß­nah­men der Jugend­hil­fe. Das in den Flow-Charts dar­ge­stell­te Vor­ge­hen setzt die­se inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit vor­aus. Fol­gen­de im Kas­ten dar­ge­stell­ten Fak­to­ren kön­nen eine gelin­gen­de Zusam­men­ar­beit erleichtern: 

Ent­schei­dend für das Gelin­gen ist die trans­pa­ren­te Vor­ge­hens­wei­se in einem Fall, sowohl zwi­schen den unter­schied­li­chen Sys­te­men als auch gegen­über den Betrof­fe­nen. Vor der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Sys­te­men ist immer der Ein­be­zug und das Ein­ver­ständ­nis der Eltern bei fall­be­zo­ge­ner Kom­mu­ni­ka­ti­on (vgl. §4 KKG, §62 und §65 SGB VIII) notwendig. 

Gelingungsfaktoren für die interdiziplinäre Zusammenarbeit

  • Trans­pa­renz
  • gemein­sa­me Spra­che in der Fall­be­ar­bei­tung und Kennt­nis­se über die jewei­li­gen­Struk­tu­ren, Arbeits­auf­trä­ge und Rollen 
  • fes­te Ansprechpartner:innen in Medi­zin und Jugendhilfe 
  • inter­dis­zi­pli­nä­re Qua­li­täts­zir­kel (IQZ)
  • Wis­sen über die ande­ren Professionen 
  • Netz­werk­ar­beit (Fach­ta­ge, Tref­fen, Qua­li­täts­zir­kel der Frü­hen Hil­fen, HAG­Fort­bil­dun­gen, Leben mit Behinderungen…) 
  • früh­zei­tig Kon­takt aufnehmen 
  • fall­un­ab­hän­gi­ge gemein­sa­me Fortbildungen 
  • Koope­ra­ti­ons­ver­ein­ba­run­gen

Belastungen für Eltern 

Die von chro­ni­scher Erkran­kung betrof­fe­nen Kin­der wer­den fast aus­nahms­los in ihrer Häus­lich­keit betreut, ver­sorgt und gepflegt (99,5 %) – in der Regel durch ihre Müt­ter. Die Betreu­ungs- und Pfle­ge­be­dar­fe stel­len hohe Her­aus­for­de­run­gen an das gesam­te Fami­li­en­sys­tem [37]. Eltern von pfle­ge­be­dürf­ti­gen und/oder behin­der­ten Kin­dern haben im Ver­gleich mit Eltern gesun­der Kin­der eine signi­fi­kant schlech­te­re kör­per­li­che wie see­li­sche Gesund­heit, gerin­ge­re Lebens­qua­li­tät und eine deut­lich schlech­te­re wirt­schaft­li­che Situa­ti­on durch Kar­rie­re- und Erwerbs­ein­brü­che. Der Schock der Dia­gno­se kann als kri­ti­sches Lebens­er­eig­nis zu Des­ori­en­tie­rung, Hilf­lo­sig­keit, Angst oder Per­spek­tiv­lo­sig­keit füh­ren. Die Belas­tun­gen der Eltern sind abhän­gig von meh­re­ren Fak­to­ren. Dazu gehö­ren u. a.: 

Belas­tun­gen für Eltern: 

  • unge­wis­se Prognose 
  • Neben­wir­kun­gen der medi­ka­men­tö­sen Therapie 
  • erhöh­ter Betreu­ungs­auf­wand, ver­sor­gungs­in­ten­si­ve Kinder 
  • rund-um-die-Uhr-Betreu­ung
  • kom­ple­xe the­ra­peu­ti­sche Maßnahmen 
  • Res­sour­cen der Eltern (z. B. Bil­dungs­stand, finan­zi­el­le Res­sour­cen, eige­ne psy­chi­sche Erkran­kun­gen) [38]

Die Aus­wir­kun­gen der chro­ni­schen Erkran­kung sind eng mit den Res­sour­cen und Bewäl­ti­gungs­kom­pe­ten­zen von Kind und Fami­lie verknüpft. 

Die Fami­li­en soll­ten mit Beginn der Dia­gno­se­stel­lung in ihrer Gesamt­heit und in ihrem Pro­zess der Lebens­ge­stal­tung und Bewäl­ti­gung gese­hen werden. 

Unter­stüt­zungs­be­darf der Eltern: 

  • Bio­gra­phi­sche Über­gän­ge und ent­wick­lungs­be­ding­te Ver­än­de­run­gen sind beson­ders zu berücksichtigen.
  • Den Wis­sens- und Kom­pe­tenz­er­werb der Eltern gilt es zu unterstützen. 
  • Der Zugang zum Ver­sor­gungs­sys­tem und die sozi­al­recht­li­chen Ange­le­gen­hei­ten soll­ten auf die Kenn­zei­chen chro­ni­scher Erkran­kun­gen im Kin­des- und Jugend­al­ter zuge­schnit­ten und ver­netzt werden. 

Sieben Phasen-Modell zur Bewältigung des Lebens mit einem chronisch kranken oder behinderten Kind 

1. Schock & Hilfslosigkeit 

Zu Beginn die­ses Pro­zes­ses ste­hen die ers­ten Krank­heits­sym­pto­me und/oder die Dia­gno­se­stel­lung und der damit ver­bun­de­ne Schock, das Trau­ma, die „bio­gra­fi­sche Zäsur“ [39]. Die Eltern haben häu­fig gro­ße Sor­ge und Angst um das Leben ihres Kin­des. Sie erle­ben Hilf­lo­sig­keit und Unsi­cher­heit vor der unkla­ren Perspektive. 

2. Wis­sens- und Kompetenzzuwachs 

In der Kon­se­quenz die­ser Unsi­cher­heit und mit dem Wis­sen, für ihr Kind und ihre Fami­lie sor­gen zu müs­sen und kei­ne ande­re Wahl zu haben, eig­nen sie sich in der zwei­ten Pha­se Wis­sen an und wach­sen an ihren Auf­ga­ben. Ein „suk­zes­si­ver Kom­pe­tenz­zu­wachs“ fin­det statt [40]. Sie ver­su­chen, ihre Ängs­te zu über­win­den; schöp­fen Hoff­nung und Ver­trau­en und neh­men die Krank­heit an. 

3. Auf­su­chen von Hilfen 

Zu ihrer Unter­stüt­zung, for­ciert durch die Erfah­rung, oft allein zu sein und zu einer Rand­grup­pe zu gehö­ren, suchen sie in der drit­ten Pha­se nach Ver­bün­de­ten inner­halb ihres sozia­len Umfel­des, in Selbst­hil­fe­or­ga­ni­sa­tio­nen, Gesprächs­krei­sen oder bei Fachkräften. 

4. Ent­schei­dungs­fä­hig­keit

Die zuneh­men­de Exper­ti­se und die Unter­stüt­zung durch Ver­bün­de­te hel­fen den Eltern in der vier­ten Pha­se, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, die das Wohl und die Zukunfts­per­spek­ti­ve des Kin­des und der Fami­lie beeinflussen. 

5. Kon­trol­le

Die­se Ent­schei­dun­gen berüh­ren sowohl ent­wick­lungs­be­ding­te als auch krank­heits­be­ding­te Ent­schei­dun­gen. Somit erlan­gen die Eltern im Ver­lauf der Erkran­kung und Ent­wick­lung ihres Kin­des und mit zuneh­men­dem Kom­pe­tenz­zu­wachs in der fünf­ten Pha­se mehr Kon­trol­le über ihre Situation. 

6. Nor­ma­li­tät und Freiheit 

Mit der zuneh­men­den Kon­trol­le über die Erkran­kung, eröff­nen sich den Eltern neue Frei­hei­ten. Sie haben die Mög­lich­keit, in der sechs­ten Pha­se der Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien die Ent­wick­lung ihres Kin­des zu beein­flus­sen und zu gestal­ten. Sie kön­nen ihrem Kind, trotz der Erkran­kung, mehr Nor­ma­li­tät und Frei­heit gewäh­ren und somit die Lebens­qua­li­tät ihres Kin­des und das der Fami­lie verbessern. 

7. Los­lö­sungs­pro­zess

Am Ende – und in der sieb­ten Pha­se – steht für die Eltern auf­grund der phy­sio­lo­gi­schen Ent­wick­lung ihres Kin­des zum Erwach­se­nen der Los­lö­sungs­pro­zess. Die­se Los­lö­sung for­dert von den Eltern die Abga­be der Kon­trol­le über die Erkran­kung und die Über­tra­gung die­ser an ihr her­an­wach­sen­des Kind. Die­se Pha­se fällt den Eltern beson­ders schwer und wird sicher von der Art, dem Ver­lauf und der Pro­gno­se der Erkran­kung beein­flusst. Den­noch wün­schen sich die Eltern mit zuneh­men­dem Alter ihres Kin­des die Selbst­stän­dig­keit und Unab­hän­gig­keit ihres Kindes. 

Die­se sie­ben Pha­sen, die die Eltern im Rah­men der Bewäl­ti­gung der Erkran­kung ihres Kin­des durch­lau­fen, wer­den beein­flusst von der Schwe­re der Erkran­kung und den damit ver­bun­de­nen sta­bi­len und insta­bi­len Pha­sen [40, 41].

Geschwisterkinder von chronisch kranken Kindern

Geschwis­ter­kin­der sind in den aller­meis­ten Fäl­len auch von der chro­ni­schen Erkran­kung in der Fami­lie indi­rekt mit­be­trof­fen. Es erge­ben sich einer­seits Ein­schrän­kun­gen in der Bezie­hung zum kran­ken Geschwis­ter­kind, Her­aus­for­de­run­gen durch die Bezie­hungs­ge­stal­tung der Eltern gegen­über den gesun­den und kran­ken Kin­dern und Belas­tun­gen im täg­li­chen Leben der Geschwis­ter z. B. Unter­ver­sor­gung durch vor­ran­gi­ge Betreu­ung des kran­ken Kin­des und häu­fi­ge Arzt­be­su­che. Auf der ande­ren Sei­te gibt es aber auch posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen in ihrem Leben auf­grund der Krank­heit des Bru­ders oder der Schwes­ter, bspw. erlan­gen die Geschwis­ter­kin­der häu­fig eine über­durch­schnitt­li­che Sozi­al­kom­pe­tenz, bes­se­re Frus­tra­ti­ons­to­le­ranz und Selbst­re­gu­la­ti­ons­fä­hig­kei­ten [42].

Per­sön­li­che Varia­blen wie das Geschlecht, die Fami­li­en­grö­ße und das Alter bei Aus­bruch der Krank­heit beein­flus­sen die Erfah­run­gen der Geschwis­ter­kin­der [43]. Es wird ange­merkt, dass die Bedürf­nis­se von Geschwis­ter­kin­dern auch dro­hen aus dem Blick zu gera­ten [42, 44]. Spe­zi­fi­sche Ange­bo­te für Geschwis­ter­kin­der von chro­nisch kran­ken Kin­dern wer­den daher von man­chen Autoren gefor­dert [37]. Dies ist ins­be­son­de­re daher rele­vant, weil die Geschwis­ter­kin­der im Ver­gleich zu Gleich­alt­ri­gen aus Fami­li­en ohne erkrank­te Kin­der ver­mehrt psy­cho­so­ma­ti­sche Sym­pto­me auf­wei­sen. Es exis­tie­ren eini­ge Stu­di­en für spe­zi­fi­sche Krank­heits­bil­der: Aus der inter­na­tio­na­len Lite­ra­tur geht her­vor, dass Geschwis­ter krebs­kran­ker und autis­ti­scher Kin­der eher Pro­ble­me haben, sich an die Situa­ti­on anzu­pas­sen, als Geschwis­ter von Kin­dern mit Tri­so­mie 21 [45].

Ins­ge­samt soll­ten daher Geschwis­ter­kin­der durch die Medi­zin und die Kin­der- und Jugend­hil­fe ver­mehrt in den Blick genom­men wer­den, um Unter­stüt­zungs­be­darf und Belas­tun­gen recht­zei­tig erken­nen zu können.